Sahraouis alleingelassen in der Wüste
Das Mandat der Uno-Mission in der Westsahara wird nicht auf die Menschenrechtssituation ausgeweitet. Damit schwinden die Hoffnungen der Sahraouis auf eine baldige Verbesserung ihrer Lage im schon 38 Jahre dauernden Konflikt mit Marokko.
Beat Stauffer
Am vergangenen Donnerstagabend hat der Sicherheitsrat das Mandat der Minurso, der Uno-Mission in der Westsahara, zum 20. Mal um ein Jahr verlängert. Die Begleitumstände waren allerdings aussergewöhnlich: Zum ersten Mal hatte die amerikanische Uno-Botschafterin, Susan Rice, im Vorfeld der Abstimmung einen Resolutionsentwurf vorgelegt, der eine Ausweitung des Mandats der Minurso auf Menschenrechtsfragen verlangte. Was selbstverständlich klingt, ist es nicht: Denn die Uno verzichtet in ihrer Mission in der Westsahara auf genau diesen Aspekt.
Verschleppungen und Folter
Diese Forderung, vorgebracht von der langjährigen Schutzmacht USA, welche die marokkanische Position in den vergangenen Jahren stets bedingungslos unterstützt hatte, stiess in Marokko auf heftigsten Widerstand. Sie hätte bedeutet, dass Uno-Funktionäre ab sofort Klagen über Menschenrechtsverletzungen auf dem Gebiet der von Marokko besetzten Westsahara hätten nachgehen können, ja müssen. Das marokkanische Regime betrachtet dies als inakzeptablen Eingriff in seine Souveränitätsrechte. Die zahlreichen Klagen von Einzelpersonen und NGO wegen unrechtmässiger Verhaftungen, Verschleppungen, polizeilicher Gewalt und Folter in den «Provinzen des Südens» – dies die offizielle marokkanische Lesart – wären damit weltweit zum Thema geworden. Dies wollte Rabat verhindern.
In der Folge unternahmen marokkanische Diplomaten hektische Verhandlungen hinter den Kulissen. Sie waren von Erfolg gekrönt: In der am Donnerstag verabschiedeten Resolution Nr. 2099 fehlt das Mandat an die Minsurso, in Zukunft auch Menschenrechtsfragen zu behandeln. Einzig in abgeschwächter Form wird Marokko ermahnt, sich für eine Verbesserung der Menschenrechtssituation in der Westsahara einzusetzen. Während Marokko mit Genugtuung auf den Entscheid des Sicherheitsrates reagierte, stellt er aus der Optik der Sahraouis eine Kapitulation vor dem Druck Marokkos dar. «Wenn Marokko wirklich eine Demokratie wäre», sagt Omeima Abdeslam, die die Polisario in der Schweiz und vor der Uno vertritt, «müsste das Land keine Angst haben vor einer Überprüfung der Menschenrechtslage in der Westsahara!»
Hinter diesem – vorerst gescheiterten – Versuch einer Neuausrichtung der amerikanischen Politik stehen nach Ansicht von Experten zur Hauptsache drei Gründe: erstens die Person von Christopher Ross, dem Gesandten des Uno-Generalsekretärs in der Westsahara. Zweitens neue Berichte über die Menschenrechtssituation in der Westsahara. Drittens spielte die Entwicklung in der Sahelzone nach der französischen Intervention in Mali eine Rolle.
Christopher Ross, der als ausgezeichneter Kenner der arabischen Welt gilt, versuchte schon seit einiger Zeit, durch eine neue Strategie eine Lösung des blockierten Westsaharakonflikts herbeizuführen. Dabei dürfte nicht nur das Scheitern aller bisherigen Versuche, ein Referendum durchzuführen, sondern auch dasjenige der informellen Gespräche zwischen den Konfliktparteien im amerikanischen Manhasset, bei denen es nach sechs Jahren und neun Gesprächsrunden zu keinen Ergebnissen kam, eine wichtige Rolle gespielt haben. Ross habe erkannt, dass nur mithilfe eines umfassenden Ansatzes und mittels Einbezug der Mächte, welche die beiden Konfliktparteien unterstützen, eine Chance bestehe, diesen Konflikt zu lösen, erklärte ein Gewährsmann gegenüber der NZZ. Gleichzeitig wollten sich die USA aus sicherheitspolitischen Gründen stärker im Sahel engagieren. Voraussetzung dafür ist eine Kooperation zwischen den Maghreb- und Sahelstaaten, welche durch den Westsaharakonflikt verunmöglicht wird.
König Mohammed VI. erzürnt
Sowohl Ross wie auch Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon stellten in den letzten Monaten mehrfach klar, dass eine Lösung dieses nun seit 38 Jahren andauernden Konflikts nicht mehr hinausgeschoben werden kann. «Die gefährliche Situation in der Sahel-Region und in ihrer Umgebung macht die Lösung des Sahara-Konflikts dringender als je zuvor», erklärte Ross gegenüber algerischen Medien anlässlich eines Treffens mit dem algerischen Präsidenten Bouteflika im April 2013. Die Ausrufung eines islamistischen Emirats im Norden Malis und die anschliessende Intervention Frankreichs dürften diese neue Sichtweise zusätzlich gestützt haben, besteht doch die Gefahr einer Destabilisierung der gesamten Region.
Die Vorschläge von Ross lägen seit rund zwei Jahren auf dem Tisch, berichtet die renommierte Westsahara-Expertin Khadija Mohsen-Finan, die an der Pariser Sorbonne Politikwissenschaften unterrichtet. Ross zog damit allerdings im Mai letzten Jahres den Zorn des marokkanischen Königs auf sich, der dem Gesandten sein Vertrauen entzog. Einzig massive Interventionen sowohl von Ban Ki Moon wie auch des amerikanischen Aussenministeriums sollen Mohammed VI. zu einem Rückzieher veranlasst haben; Ross konnte jedenfalls seine Arbeit wiederaufnehmen. Zum grossen Unwillen Marokkos führte er auch ausführliche Gespräche mit Sahraoui-Aktivisten und Menschenrechtsvertretern in der Westsahara. Dies taten auch Vertreter des Robert. F. Kennedy Center for Justice and Human Rights und des amerikanischen Departements für auswärtige Angelegenheiten. Sie publizierten zwei Berichte über die Menschenrechtssituation in der Westsahara, welche im Sommer 2012 beziehungsweise im April 2013 der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Beide Berichte zeichnen ein äusserst negatives Bild der Menschenrechtslage in den von Marokko besetzten Gebieten sowie in geringerem Ausmass auch in der Region von Tindouf. Die Rede ist von systematischen und gravierenden Menschenrechtsverletzungen seitens der marokkanischen Behörden. Beide Berichte weisen auch auf die Gefahren für die zukünftige politische Entwicklung der Region hin. Laut Mohsen-Finan sollen diese Berichte eine massgebende Rolle bei der geplanten Neuausrichtung der amerikanischen Politik in der Region gespielt haben. Aktenkundig sind die engen Beziehungen zwischen der Präsidentin des Kennedy-Centers, Kerry Kennedy, und dem amerikanischen Aussenminister, John Kerry.
Den nun erfolgten Verzicht der USA auf diese Forderungen führt Mohsen-Finan auf drei Faktoren zurück: Erstens habe Marokko einen enormen Druck auf die USA sowie auf die anderen Mitglieder der sogenannten «Freunde der Sahara» ausgeübt, das Menschenrechtsmandat aus dem Resolutionsentwurf zu streichen. Dabei sei das Königreich insbesondere von Frankreich und Spanien unterstützt worden. Zweitens habe sich Marokko mit Erfolg als «Pol der Stabilität» im Maghreb empfohlen und dabei auch die Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung ins Spiel gebracht. Schliesslich glaube die internationale Gemeinschaft nicht wirklich an die Sahraouis und messe der Region der Sahara auch keine grosse Bedeutung zu. Mohsen-Finan erachtet den Entscheid als einen Sieg der «Realpolitik» über völkerrechtliche Prinzipien.
Gefahr der Radikalisierung
Die aus Tunesien stammende Expertin bezweifelt, dass das abgeschwächte Mandat der Minsurso die Menschenrechtslage verbessert. Andere Beobachter sind optimistischer. Die Vertreterin der Polisario in der Schweiz erkennt trotz allem erhöhten Druck auf Marokko. Der Entscheid sei eine Ohrfeige für alle, die sich für Menschenrechte einsetzten, sagt Abdeslam; doch immerhin wisse nun die Welt um die gravierenden Menschenrechtsprobleme.
Es ist zu befürchten, dass sich in der marokkanisch besetzten Westsahara nichts ändern und sich die Lage der Sahraouis in den Lagern von Tindouf weiter zuspitzen wird. Khadija Mohsen-Finan wie auch andere Experten halten es für möglich, dass sich einzelne junge Sahraouis aus Verzweiflung den in der Region operierenden Drogen- und Waffenhändlern oder jihadistischen Gruppierungen anschliessen könnten. Zwar gebe es dafür bis jetzt keine Beweise, doch die Wahrscheinlichkeit steige, je länger der Konflikt andaure.
US-Forderung nach Menschenrechtsbeobachtern an Uno abgeblitzt
Die Verlängerung des Mandats der Minurso genannten Friedensmission in der Westsahara beschäftigt den Uno-Sicherheitsrat jeden Frühling. Dabei erklingt oft der Ruf nach der Eingliederung von Menschenrechtsbeobachtern in die Mission. Die Forderungen werden jeweils blockiert, obwohl die Minurso die einzige Uno-Operation ohne Menschenrechts-Komponente ist.
Im Vorfeld der am Donnerstag erfolgten Verlängerung des Mandats hatten sich die USA überraschend an vorderster Front für den Einbezug von Menschenrechtsbeobachtern eingesetzt. Doch Marokko setzte alle Hebel in Bewegung: Mitte April wurde eine seit 13 Jahren jedes Jahr stattfindende Militärübung mit den USA abgesagt. Am Schluss gelang es dem nichtständigen Sicherheitsratsmitglied Marokko im Verbund mit seinem Alliierten Frankreich, die US-Forderung zu blockieren.
An der Uno heisst es, die Position der USA sei vorab auf eine persönliche Initiative von Uno-Botschafterin Susan Rice zurückzuführen, die kürzlich eine prominente Menschenrechtsaktivistin aus der Region traf. Auch die Beziehungen des neuen Aussenministers Kerry zum «Robert F. Kennedy-Center for Justice and Human Rights» werden angeführt.
Allerdings ist zweifelhaft, ob der amerikanische Positionsbezug Ausdruck einer strategischen Neuausrichtung war. Denn die US-Initiative glich einer improvisierten Aktion. Laut Diplomaten verpassten es die USA, ihre Forderung frühzeitig abzusprechen und Allianzen zu schmieden. Auch Grossbritannien, das sich in früheren Jahren für eine Menschenrechts-Komponente der Minurso eingesetzt hatte, schien nicht involviert gewesen zu sein. Entsprechend mussten die USA ihre Forderung fallenlassen.